Zum Tod des Komponisten und Dirigenten Rudolf Kelterborn
09.04.2021
Er galt als ein Musik-Denker und Komponist, in dessen Werken sich Emphase, Schönheit, Schmerz und Wortgewandtheit begegneten. Rudolf Kelterborn machte die Musik zum Mittelpunkt seines persönlichen Engagements. Er vermied die Elfenbeintürme und scheute sich nicht, an einflussreicher Stelle für Musik und Kunst einzustehen. Als Direktor der Musik-Akademie Basel (1983−1994), als Leiter der Abteilung Musik von Radio DRS (1974−1980), als Chefredaktor der Schweizerischen Musikzeitung (1969−1975) und Mitbegründer der Konzertreihe Basler Musik Forum prägte Kelterborn das Musikleben. Über die Notwendigkeit, der Musik eine Öffentlichkeit zu schaffen, sagte er 2011 in einem Interview in der Schweizer Musikzeitschrift «Dissonanz»:
«Ich habe diese (übrigens durchaus auch interessanten) Aufgaben auf mich genommen, weil ich der Meinung bin, dass ein Künstler, ein Komponist sich engagieren muss. Es ist doch recht einfach, zu behaupten: Ich schreibe eine Musik, die moralische oder gesellschaftskritische Aspekte enthält. Es gibt viel wirksamere Formen von Engagement, zum Beispiel indem man sich in die Kulturpolitik einbringt und Arbeit leistet, die ich vielleicht nicht immer gerne mache, aber das gehört eben dazu.»
Solche Worte waren typisch für Kelterborn. Er war eine Respektsperson, aber auch einer, der Fragen stellte und zuhören konnte. Der Musik-Akademie sicherte er damit als Direktor eine Phase der Konsolidierung und stetigen inhaltlichen Erweiterung. Massgeblich befördert wurde dies durch den Umbau der ehemaligen Druckerei Boehm an der Leonhardsstrasse zu Unterrichtsräumen, den Ausbau des Elektronischen Studios und die Arbeitswochen mit internationalen Komponisten wie Luciano Berio und Hans Werner Henze. Unter Kelterborn gab es originelle Mischungen von alter und neuer Musik, er selbst komponierte unter dem Titel «Schlag an mit deiner Sichel» Madrigale für vier Solostimmen und Renaissance-Instrumente. Kelterborn wurde zum Vorbild für alle, die ihm im Amt folgten. «Seine künstlerisch-inhaltliche Gradlinigkeit und seine persönliche Integrität sind uns bis heute auf allen Ebenen musikalischer, künstlerischer, pädagogischer und gesellschaftspolitischer Tätigkeiten Vorbild», sagt Stephan Schmidt, Direktor der Musik-Akademie Basel und Hochschule für Musik FHNW. Kelterborns Wirken, so Schmidt, sei bis heute am Basler Institut spürbar und lebe in der tiefgehenden kollegialen Wertschätzung weiter.
Rudolf Kelterborn wurde am 3. September 1931 in Basel geboren. Sein Entschluss, die Musikerlaufbahn einzuschlagen, stand früh fest, bereits während der Schulzeit erhielt er Klavier-, Dirigier- und Theorieunterricht. 1950 erwarb er die Matura am Humanistischen Gymnasium und studierte anschliessend an der Musik-Akademie Basel Komposition bei Walther Geiser, Musiktheorie bei Gustav Güldenstein und Walter Müller von Kulm, Klavier bei Eduard Henneberger und Dirigieren bei Alexander Krannhals. 1952 schloss er mit dem Diplom für Musiktheorie und dem Kapellmeisterdiplom ab, es folgten Studien bei Wolfgang Fortner und Günter Bialas. Als Lehrer für Musiktheorie und Komposition unterrichtete Kelterborn in Basel, Detmold, am Zürcher Konservatorium und in Karlsruhe.
Als Komponist hinterlässt Kelterborn ein umfangreiches Œuvre. Die Gestimmtheit seiner Musik deutet sich in Titeln wie «Gesänge zur Nacht», «Chiaroscuro», «Traumland» und «Herbstmusik» an. Der musikalische Ausdruck spannt sich von Verhaltenheit bis zu starker Expressivität. Kelterborns kompositorisches Schaffen umfasst alle musikalischen Gattungen wie Bühnenwerke, Orchester- und Kammermusik, instrumentale und vokale Kompositionen für grössere Ensembles und Chorwerke. Durch Opern wie «Ein Engel kommt nach Babylon» auf ein Libretto von Friedrich Dürrenmatt, 1977 am Opernhaus Zürich uraufgeführt, wurde Kelterborn einem grösseren internationalen Publikum bekannt. In Buchpublikationen wies Kelterborn immer wieder auf die lebensvolle Seite der Musik hin, so in dem von Michael Kunkel herausgegebenen Band «Hier und Jetzt». Dort liest man unter der Überschrift «Kleine (zögerliche) Selbstreflexion»:
«Kunst ist Fülle des Lebens, und ich traue der Musik die Kraft zu, diese Fülle ohne verbale oder bildhafte Unterstützung und ohne literarische oder biographische Programme zum Ausdruck zu bringen. Der ‘Inhalt’ meiner Musik wird bestimmt durch die oft kaum auszuhaltende Spannung zwischen Schönheiten dieser Welt, unerhörten Möglichkeiten des Lebens, Utopien, Hoffnungen und Visionen einerseits – und Ängsten, Schrecken, Nöten und Trauer andererseits. (…) Mit zunehmendem Alter wächst meine Neugier, mein Mut zu gelegentlicher Inkonsequenz, meine Lust, neue Fenster zu öffnen (zum Beispiel auch ganz am Ende einer neuen Komposition…).»
Solche neuen Fenster hat der Komponist in seiner Musik immer wieder aufgetan und damit seinen Zuhörerinnen und Zuhörern tiefgründige Klangerlebnisse eröffnet. Am 24. März 2021 ist Rudolf Kelterborn, wie seine Familie jetzt bekannt gab, in Basel gestorben.
Martina Wohlthat